Symposion zu Fragen des Rechtsschutzes vor dem Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf am 9. Juni 2015
Sollten künftig die Bürgerinnen und Bürger Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen erheben können? Mit dieser Beschwerde könnte die Verletzung von Grundrechten, die in der Landesverfassung garantiert werden, vor dem Landesverfassungsgericht gerügt werden. Die Frage des Für und Wider der Einführung einer solchen Individualverfassungsbeschwerde war Thema eines hochkarätig besetzten verfassungsrechtlichen Symposions in der Villa Horion in Düsseldorf am gestrigen Tag. Zu der Veranstaltung, an der auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, teilnahm, hatten die Präsidentin des Landtags, Carina Gödecke, und die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, Dr. Ricarda Brandts, gemeinsam in die Villa Horion in Düsseldorf eingeladen. Als Gäste der Veranstaltung konnten unter anderem die Präsidentinnen und Präsidenten zahlreicher weiterer Landesverfassungsgerichte begrüßt werden.
Derzeit prüft die vom Landtag eingesetzte Kommission zur Reform der Nordrhein-Westfälischen Verfassung, deren Mitglieder zu der Veranstaltung ebenfalls in großer Anzahl erschienen waren, ob die den Verfassungsgerichtshof betreffenden Vorschriften in der Landesverfassung einer Ergänzung bedürfen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob auch in Nordrhein-Westfalen – wie inzwischen in der Mehrzahl der anderen Bundesländer – der verfassungsgerichtliche Rechtsschutz um die Möglichkeit der Erhebung einer Individualverfassungsbeschwerde erweitert werden soll.
In ihren Grußworten hoben sowohl die Präsidentinnen des Landtags und des Verfassungsgerichtshofs als auch Justizminister Kutschaty und der Vorsitzende der Verfassungskommission, Prof. Dr. Rainer Bovermann, die Bedeutung einer parlamentarischen Entscheidung über die Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde und das Bemühen aller Verfassungsorgane um die Schaffung einer möglichst breiten Erkenntnisgrundlage für diese Entscheidung hervor. Dr. Ricarda Brandts wies insbesondere darauf hin, dass die Landesgrundrechte auch in Nordrhein-Westfalen derzeit zwar nicht schutzlos verbürgt seien, da sie unter fachgerichtlichem Rechtsschutz stünden. Ausgeschlossen sei aber, dass der Bürger der Akteur sei, der das für den Schutz seiner Grundrechte auf Landesebene prädestinierte Verfassungsorgan anrufen könne. Erst die Individualverfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht stelle die volle Symmetrie zwischen der materiellen und der prozessualen Gewährleistung der Landesgrundrechte her.
Prof. Dr. Fabian Wittreck, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Politik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, führte in einem einleitenden Vortrag zugleich grundlegend und pointiert weitergehend in das Thema ein. In der anschließenden, von Johannes Riedel, Erster Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs a.D. und Präsident des Oberlandesgerichts Köln a.D., moderierten Podiumsdiskussion wurden das Für und Wider der Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Neben dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs und Prof. Dr. Fabian Wittreck nahm an der Diskussion der Präsident des Staatsgerichtshofs für das Land Baden-Württemberg, Eberhard Stilz, teil, der über die besonderen Erfahrungen berichten konnte, die seit der Einführung der Individualverfassungsbeschwerde in seinem Bundesland im April 2013 gemacht wurden. Die Sicht der Rechtsanwaltschaft auf dem Podium vertrat Prof. Dr. Thomas Mayen, unter anderem Vorsitzender der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentags und Vorsitzender des Verfassungsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins. Unter Einbeziehung der Gäste im Publikum erfolgte ein lebhafter Austausch der widerstreitenden Argumente. Thematisiert wurde unter anderem, welcher Stellenwert der Einführung einer Landesindividualverfassungsbeschwerde – auch unter Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen bundes- und landesverfassungsgerichtlicher Grundrechterechtsprechung – im Hinblick auf eine Stärkung der Eigenstaatlichkeit des Landes im föderalen Gesamtstaat zukommen kann. Im Rahmen des abschließenden Empfangs bestand ausgiebig Gelegenheit, die Diskussion fortzusetzen.
Siehe auch die Pressemitteilung des Landtags.